Die ersten 100 Tage der Merz-Regierung haben dem Mittelstand im Online-Handel keine spürbaren Erleichterungen gebracht – so das ernüchternde Fazit vieler Betriebe.
Tim Arlt, CEO Händlerbund:
„Für kleine und mittlere Händler hat sich im Alltag bislang nichts messbar verbessert. Im Gegenteil: Die regulatorische Komplexität nimmt zu, während Entlastungen ausbleiben. Wenn das so weitergeht, droht eine Marktverengung zulasten der KMU.“
Tatsächlich sind die Unternehmensinsolvenzen 2024 deutlich gestiegen: Creditreform meldet 22.400 Fälle – höchster Stand seit 2015 (+24,3 % gegenüber 2023). Der DIHK spricht angesichts der Entwicklung wiederholt von einem Warnsignal und erwartet ohne Entlastungen weiter zunehmende Pleiten, insbesondere im KMU-Segment.
Gründung Digitalministerium: Überfällig – jetzt müssen Taten folgen
Am 6./7. Mai 2025 wurde das Bundesministerium für Digitales und Staatsmodernisierung (BMDS) geschaffen und Karsten Wildberger vereidigt. Bitkom begrüßte den Schritt als „klares Signal“, betonte aber: Entscheidend ist die schnelle Umsetzung.
Jüngst erhöhte Wildberger den Druck: Bis 15. September sollen alle Ressorts konkrete Bürokratie-Abbaupläne vorlegen; Zielgröße sind –16 Mrd. € (≈ -25 %) an Bürokratiekosten. Das unterstreicht den Handlungswillen – nun braucht es sichtbare Ergebnisse für Händler.
Zur Einordnung: Die jährlichen Bürokratiekosten der Wirtschaft liegen bei rund 67 Mrd. € (Regierungsangabe, 2024). Der Nationale Normenkontrollrat mahnt seit Längerem verbindliche Reduktionsziele an.
Onlinehandel wächst 2025 – dank Temu & Shein: Fairen Wettbewerb herstellen
Der HDE hob im Mai seine Prognose für 2025 auf +4 % (92,4 Mrd. €) an – Online bleibt Wachstumstreiber. Gleichzeitig zeigt der HDE-Online-Monitor 2025: Ausländische Anbieter stehen für ~10 % des Online-Volumens (≈ 8,9 Mrd. €); Temu und Shein werden auf ~2,7–3,3 Mrd. € geschätzt.
Problematisch bleibt die Zollfreigrenze von 150 € (keine Zölle), die Drittlandsanbietern Preisvorteile ermöglicht. Die Verbraucherzentrale erläutert die Effekte für Direktkäufe – inklusive Import-One-Stop-Shop-Ausnahmen (IOSS). Gleiche Regeln für alle sind daher zentral.
Parallel sollten Händler Chancen neuer Marktplätze nüchtern prüfen. Der Händlerbund unterstützt mit rechtssicheren Marktplatz-Rechtstexten und Schnittstellen für Shops/Marktplätze (wie bspw. Temu), damit KMU neue Vertriebskanäle rechtskonform nutzen können.
BVOH als Trusted Flagger: Schnellere Hilfe gegen Rechtsverstöße
Seit 2. Juni 2025 ist der BVOH von der Bundesnetzagentur als Trusted Flagger nach DSA zertifiziert. Meldungen werden von Plattformen priorisiert bearbeitet – schneller und ohne die Kostenrisiken klassischer Abmahnungen.
Wir begrüßen und freuen uns sehr über die Trusted-Flagger-Initiative des BVOH. Aus unserer Sicht ist das ein praxisnaher und guter Weg, rechtswidrige Angebote auf Marktplätzen schnell und ohne hohe Kosten zu entfernen.
Der Händlerbund verfolgt mit FairCommerce seit 2015 dasselbe Ziel: Abmahnmissbrauch eindämmen und fairen Wettbewerb stärken – mit über 50.000 teilnehmenden Shops. Gemeinsam mit Trusted-Flagger-Mechanismen sorgt das für mehr Marktplatzhygiene, ohne sofort den Gerichtsweg bemühen zu müssen.
Bundesrat: „Verbraucherschutz“ – in der Sache Wettbewerbsfairness
Der Bundesrat forderte am 11. Juli 2025 unter anderem die Abschaffung der 150-€-Zollfreigrenze, mehr Plattformtransparenz und eine Plattformhaftung bei nicht konformer Ware ohne EU-Verantwortlichen – faktisch Maßnahmen gegen Wettbewerbsverzerrungen zulasten regelkonformer Händler.
Neues Batterie-Recht (BattDG): Pflichten-Sprung für Händler
Zum 18. August 2025 wird das nationale Batterie-Recht neu gefasst (Umsetzung der EU-Batterieverordnung 2023/1542). Kernelemente: Registrierung (Bundesstelle für Chemikalien / Stiftung EAR), Mengen-/Recycling-Meldungen, Rücknahmepflichten (auch für Online-Händler), Kennzeichnung inkl. durchgestrichener Mülltonne und neue Batterie-Kategorien mit differenzierten Pflichten. Für KMU bedeutet das erheblichen organisatorischen Aufwand – vereinfachte Verfahren wären nötig.
Fazit: Geschwindigkeit, Pragmatismus, Entlastung
Die Regierung hat Impulse gesetzt – wirksam werden sie erst mit Tempo und praxisnaher Umsetzung: spürbarer Bürokratieabbau, faire Wettbewerbsbedingungen gegenüber Drittlands-Anbietern und KMU-taugliche Compliance-Pflichten.
Tim Arlt: „Jetzt kommt es auf Geschwindigkeit und praktikable Umsetzung an – sonst droht eine Marktverengung, die gerade die mittelständischen Händler trifft.“
Hinweise zur Quellenlage (Auswahl): Insolvenzen/DIHK (Creditreform, DIHK), BMDS/Bitkom, HDE-Prognose & HDE-Online-Monitor 2025, BNetzA/BVOH Trusted Flagger, Bundesrats-Entschließung, EU-Batterieverordnung/UBA/Stiftung EAR, Zollfreigrenze-Erläuterungen der Verbraucherzentrale.
Links
- https://www.creditreform.de
- https://www.dihk.de
- https://bmds.bund.de
- https://www.bitkom.org
- https://www.tagesspiegel.de
- https://www.dihk.de
- https://www.reuters.com
- https://www.bundestag.de
- https://einzelhandel.de
- https://www.zoll.de
- https://marketplace.plentymarkets.com
- https://www.bundesnetzagentur.de
- https://bvoh.de
- https://www.haendlerbund.de
- https://stm.baden-wuerttemberg.de
- https://www.bundesrat.de
- https://www.batteriegesetz.de