FAQ: Urteil des Bundesarbeitsgerichts zur Arbeitszeiterfassung

aomas / Shutterstock.com
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Laut einem aktuellen Urteil des Bundesarbeitsgerichts zufolge besteht in Deutschland eine Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeit. Diese Pflicht wurde in Deutschland bislang nur in bestimmten Situationen angenommen.

Laut Inken Gallner, Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, muss die Arbeitszeit bei europarechtskonformer Auslegung der deutschen Vorschriften jedoch bereits erfasst werden. Gleich ob Arbeitgeber oder Arbeitnehmer: Die Unsicherheit, was dieses Urteil konkret bedeutet, ist groß. Wir geben Antworten auf häufige Fragen.

Zum Hintergrund: Worüber hat das Bundesarbeitsgericht entschieden?

In der Sache, die das Bundesarbeitsgericht zu entscheiden hatte (Az. 1 ABR 22/21), ging es im Schwerpunkt eigentlich um die Frage, ob ein Betriebsrat die Einführung eines Systems zur Arbeitszeiterfassung erwirken kann. Für den beteiligten Arbeitgeber wurde das Verfahren wohl zum Pyrrhussieg: Das Gericht stelle ganz in seinem Sinne fest, dass der Betriebsrat diese Möglichkeit nicht hat – da, und diese Aussage kam nun vielfach überraschend, das Gesetz diese Pflicht bereits vorsieht. „Wenn man das deutsche Arbeitsschutzgesetz mit der Maßgabe des Europäischen Gerichtshofs auslegt, dann besteht bereits eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung“ wird die Präsidentin und Vorsitzende Richterin des Bundesarbeitsgerichts, Inken Gallner, zitiert. Das Gericht bezieht sich dabei auf eine Regelung des Arbeitsschutzgesetzes: Danach ist der Arbeitgeber verpflichtet, im Hinblick auf Maßnahmen des Arbeitsschutzes für eine geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel bereitzustellen, § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz. Dies umfasst nach Auffassung des BAG auch die Pflicht, ein System einzuführen, mit dem die von Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann.

Bislang liegt zu der Entscheidung seitens des BAG jedoch lediglich eine Pressemitteilung vor. Der Urteilstext selbst wurde noch nicht veröffentlicht.

Zum Hintergrund: Was hat der Europäische Gerichtshof mit der Entwicklung zu tun?

Die bisherigen Stellungnahmen des Bundesarbeitsgerichts und seiner Richter verweisen auch auf EuGH-Rechtsprechung. Gemeint ist damit ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs aus 2019 (Urteil v. 14.05.2022, Rs. C-55/18). Dieses enthielt im Ergebnis eine Nachricht für die Gesetzgeber der Mitgliedstaaten: Um europarechtskonform sein zu können, müssen nationale Vorschriften zum Arbeitsrecht die Pflicht für Arbeitgeber vorsehen, die Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter zu erfassen.

Welche Regeln gelten in Deutschland bisher zur Zeiterfassung?

Auch bisher bestanden schon einige ausdrückliche Regelungen im Hinblick auf die Erfassung der Arbeitszeit, jedoch lediglich hinsichtlich bestimmter Situationen – etwa die Arbeit an Sonn- und Feiertagen oder bei Minijobs. An den bestehenden gesetzlichen Regelungen ändert sich unmittelbar durch das Urteil des Bundesarbeitsgerichts zunächst nichts.

Welche Konsequenzen hat die Entscheidung für Arbeitgeber und Arbeitnehmer?

Die Stimmen zum Urteil aus Wirtschaft und Recht sind sich in einer Sache einig: Die Konsequenzen des Urteils sind weitreichend. Im Hinblick auf die tatsächlichen Folgen des Urteils lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt und aus juristischer Perspektive jedoch kaum eine Aussage treffen – was auch damit zusammenhängt, dass der entscheidende Urteilstext noch nicht veröffentlicht wurde. Das „Wie“ der Arbeitszeiterfassung ist damit noch weitgehend offen, und es ist auch nicht klar, inwiefern das Urteil selbst für Präzision dieser Verpflichtung sorgen wird.

  1. Klar ist aber bereits jetzt die Antwort auf die Frage nach dem „Ob“ der Arbeitszeiterfassung: Sie lautet nunmehr eindeutig ja. Bis das Urteil veröffentlicht wird, könnte es noch einige Wochen dauern.

Besteht eine Umsetzungsfrist für Arbeitgeber? Wie geht es weiter?

Eine Umsetzungsfrist besteht nach dem aktuellen Stand nicht. Vielmehr hat das BAG festgestellt, dass die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung schlichtweg auch schon nach den bestehenden Regeln existiert, sodass eine Verpflichtung zur Umsetzung unmittelbar bestehen dürfte.

Auf der praktischen Seite werden jetzt vermutlich verstärkt Lösungen von entsprechenden Anbietern gefordert werden. Auf der juristischen Seite besteht in vielen Fragen hingegen noch Klärungsbedarf. Es ist vor allem Aufgabe des Gesetzgebers, sowohl für Arbeitgeber als auch für Arbeitnehmer klare Rahmenbedingungen zu schaffen. Dies hat er bislang versäumt. Wie der Gesetzgeber reagiert, bleibt abzuwarten. So wäre möglich, dass die bestehenden Regeln ergänzt werden, oder dass eine weitreichendere Anpassung erfolgt, um den europäischen Vorgaben gerecht zu werden.

  1. Fest steht zum jetzigen Zeitpunkt: Viele Arbeitgeber sehen sich durch die Entscheidung unter Druck gesetzt. Angesichts der bisherigen Unklarheiten sollten insofern jedoch keine übereilten und undurchdachten Entscheidungen getroffen werden. Zugleich kann es aber ratsam sein, sich darüber Gedanken zu machen, welche Anforderungen und Bedürfnisse im Unternehmen im Hinblick auf die Arbeitszeiterfassung und deren Umsetzung bestehen.

Wie konkret muss die Arbeitszeit erfasst werden?

Hierzu lässt sich ebenfalls noch keine präzise Aussage treffen. Auch sind Modelle wie die Vertrauensarbeitszeit oder Homeoffice durch die Entscheidung und die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung nicht zwingend gefährdet. Hier kommt es wohl auch entscheidend darauf an, wie die pauschale Pflicht zur Arbeitszeiterfassung künftig vom Gesetzgeber ausgestaltet wird und welche Anforderungen sich noch aus der Rechtsprechung ergebe. Seitens des EuGH wurde klargemacht, dass nach den europäischen Vorgaben die erfassten Daten objektiv und verlässlich sein müssen, sowie dass sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer Zugriff auf diese Daten haben müssen.

Dabei sind viele Detailfragen offen. So ist beispielsweise nicht gesagt, dass die Arbeitnehmer das System auch tatsächlich nutzen müssen, welches der Arbeitgeber bereitstellt. Ebenso wenig ist derzeit klar, inwiefern Aufzeichnungen erstellt werden und wie lange aufbewahrt werden müssen oder ob womöglich auch eine einfache Tabelle ausreichend ist, um die Arbeitszeit zu erfassen. Hinzu kommen hier auch etwaige offene Fragen bei Verstößen gegen diese Vorgaben.

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